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VietnamesInnen in der DDR und in Ostdeutschland

Von Karin Weiss

Schon ab 1955 wurden Schüler aus Vietnam in der DDR aufgenommen. Sie waren nach einer Gruppe aus Nordkorea die zweite Gruppe von Kindern, die im Rahmen einer Solidaritätsaktion eine schulische und berufliche Ausbildung in der DDR erhielten. 1955/56 reisten die ersten 348 Kinder in die DDR ein und wurden in Dresden und Moritzburg untergebracht. Viele dieser Kinder, die im Alter von 10-14 Jahren in die DDR gekommen waren, kehrten erst als Erwachsene nach Vietnam zurück. Trotz unterschiedlichster Biographien verbindet sie aber bis heute auch in Vietnam ihr Leben in der DDR, noch heute führen sie den Namen »Moritzburger«. Sie war die erste, bei weitem jedoch nicht die einzige Gruppe von ausländischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die in der DDR ausgebildet wurden. Vietnam maß diesen Qualifizierungsprogrammen eine große Bedeutung zu.

Zu Beginn der 1980er Jahre begann auch eine weitere Form der Migration aus Vietnam in die DDR, nämlich die Migration zu Arbeitszwecken. Im Rahmen von Staatsverträgen zwischen der DDR und Vietnam, Kuba, Algerien, Angola und Mozambique wurden Vertragsarbeiter in der DDR aufgenommen. Sie sollten dabei einerseits den zunehmenden Bedarf der DDR an Arbeitskräften decken, gleichzeitig aber während ihres Arbeitseinsatzes auch eine Berufsausbildung erhalten. Insgesamt wurden nach DDR-Quellen mehr als 68.000 vietnamesische Männer und Frauen eingesetzt. Allerdings erhielten nur die ersten eine berufliche Ausbildung, nach 1985 wurden die Vietnamesen fast ausschließlich nur für Arbeitszwecke eingesetzt.

Sie wurden gruppenweise in Wohnheimen untergebracht und arbeiteten auch in vietnamesischen Arbeitskollektiven. Während ihres gesamten Lebens in der DDR standen sie unter der rigiden Aufsicht sowohl der DDR-Kontrollorgane als auch seitens der Vertreter der SR Vietnam, die als Gruppenleiter bzw. Dolmetscher eingesetzt wurden, aber auch Kontrollfunktionen hatten. Die Lebensbedingungen waren sowohl am Arbeitsplatz als auch im Wohnheim stark eingeschränkt: Private Beziehungen zu Deutschen waren unerwünscht und unterlagen scharfen Kontrollen. Arbeitseinsatz, Unterbringung, alle Rechte und Pflichten der Vertragsarbeiter, wurden im Staatsvertrag zwischen der DDR und Vietnam festgelegt.

Die Arbeiter selbst verfügten über keinen individuellen Arbeitsvertrag mit einklagbaren Rechten. Die Staatsverträge regelten die Interessen der jeweils beteiligten Staaten, nicht die der betroffenen Arbeitnehmer, und gingen in der einseitigen Interessenvertretung sogar soweit, dass bis kurz vor der Wende Frauen, die während ihres Arbeitseinsatzes in der DDR schwanger wurden, entweder eine Abtreibung vorzunehmen hatten oder gezwungen wurden, nach Vietnam zurückzugehen. Die zwangsweise Rückführung nach Vietnam wurde auch als Repression eingesetzt, wenn vietnamesische Arbeitskräfte beispielsweise versuchten, sich gegen die rigiden Arbeits- oder Lebensbedingungen zur Wehr zu setzen.

Allerdings war die Arbeit und Lebensbedingungen in der DDR, die im Vergleich zu denen der Deutschen als sehr eingeschränkt und repressiv anzusehen sind, für die Vietnamesen dennoch sehr für die Vietnamesen durchaus sehr erstrebenswert. Die Lebensbedingungen ihrem Heimatland waren sehr schwierig und die Arbeit in der DDR sicherte nicht nur die eigene Existenz, sondern ermöglichte den Vertragsarbeitern auch ihre in Vietnam zurückgebliebenen Familien zu ernähren. Viele der Familien waren völlig von dem Verdienst in der DDR abhängig. »Die DDR war ein Paradies... Damals war sie für uns ein wunderbares Land«, formulierte es eine  ehemalige Vertragsarbeiterin.

Trotz der ständigen Aufsicht und Überwachung bestanden funktionierende  Netzwerke, die sowohl soziale als auch ökonomische Ziele hatten und sogar über überregionale Strukturen verfügten. Die Vietnamesen knüpften schnell an Traditionen aus dem Herkunftsland an und versuchten ihr Einkommen zu verbessern: durch die Produktion von Verbrauchsgütern wie z.B. Textilien oder auch Kleinsthandel. Das Ministerium für Staatssicherheit war sich dieser Nebenerwerbe durchaus bewusst und beobachtete sie, ließ die Vietnamesen jedoch gewähren, da die so hergestellten Textilien den großen Bedarf der DDR–Bevölkerung abzudecken half.

Dabei erstreckte sich der Handel durchaus auch auf Produkte wie z.B. elektronische Waren- deren Einfuhr meist nicht legal war. Für diesen Handel dienten die Wohnheime als Lagerstätte und Umschlagplatz. Die Wohnheime dienten ebenfalls als illegale Übernachtungsmöglichkeiten, die für den Besuch von Verwandten oder auch für den mobilen Handel genutzt werden konnten. Das Ministerium für Staatssicherheit dokumentierte regelmäßige Kontakte zwischen den Gruppen in den verschiedenen Wohnheimen und intensive Netzwerke, auch über die Staatsgrenzen hinweg.

Neuorientierung im vereinten Deutschland

Mit der Vereinigung beider deutscher Staaten verblieben die Vertragsarbeiter zunächst in einem rechtlich ungeklärten Raum. Im Gegensatz zu den ausländischen Arbeitnehmern in der BRD wurden sie nicht als reguläre Arbeitnehmer, sondern als Werkvertragsarbeiter eingestuft und erhielten damit lediglich eine befristete Aufenthaltsbewilligung für die Zeit des ursprünglich vereinbarten Arbeitsvertrages. Viele dieser Arbeitsverträge wurden jedoch im Zuge der Wende aufgelöst, da die zusammenbrechende ostdeutsche Wirtschaft die (Staats-) Verträge zwischen der DDR und Vietnam nicht mehr erfüllen konnte.

Es kam zu Änderungsverhandlungen mit den Entsendestaaten, denen allerdings durch den am 18.5. 1990 unterzeichneten Staatsvertrag über die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion der beiden deutschen Staaten enge Grenzen gesetzt waren. Vertragsarbeiter, die in ihre Heimat zurückreisten, erhielten eine Entschädigung von 3000,- DM und freien Rückflug. Da eine Vielzahl der DDR Betriebe geschlossen wurde, sahen sich die Vertragsarbeiter kurz nach der Wende ganz überwiegend der Arbeitslosigkeit ausgesetzt. Viele nahmen aus diesem Grunde das Angebot war, in ihre Heimat zurückzureisen.

Der Versuch einer großen Gruppe der vietnamesischen Vertragsarbeiter, trotz der widrigen Umstände und der restriktiven Politik des vereinten Deutschlands in der BRD zu bleiben, hing zum einen mit der schwierigen Lebensperspektive in Vietnam zusammen. Zum anderen gab es für manche aber auch gar keine andere Möglichkeit, da Vietnam sich weigerte, alle seine Staatsbürger wieder aufzunehmen, und zum Teil eine Rückkehrgenehmigung erst zum Ablauf der ursprünglich vereinbarten Beschäftigungsdauer ausstellte. So verblieben viele mit einer immer wieder befristeten Aufenthaltsbefugnis im vereinten Deutschland- jedoch ohne die Möglichkeit, eine regelmäßige Arbeit zu finden.

Ab 1993 gab es dann auf Initiative der Ausländerbeauftragten der neuen Bundesländer eine erste, zunächst noch unbefriedigende Regelung für ein Bleiberecht. Erst 1997 konnte der Aufenthaltsstatus mit der Bleiberechtsregelung für die ehemaligen Vertragsarbeiter zufrieden stellend geklärt werden.  Bis dahin war die einzige Möglichkeit der Existenzsicherung für viele, im Rahmen einer Reisegewerbeerlaubnis bzw. Kleinstgewerbe den Lebensunterhalt wenigstens minimal abzusichern. Der Druck, sich selbst unter schwierigsten Bedingungen selbständig zu machen, war enorm. Er war Ergebnis des Zwangs zur Selbständigkeit in der Wende- und Nachwendezeit, in der Arbeitsplätze einfach nicht vorhanden waren, eine Chance auf Überleben bzw. auf ein Bleiberecht jedoch nur vorhanden war, wenn eine eigenständige finanzielle Absicherung erfolgte.

Fremdenfeindliche Übergriffe und Unsicherheiten

Zu dieser völlig ungesicherten Lebenslage der Wendezeit, in denen zunächst selbst ein minimales Einkommen nicht gesichert war, die Wohnheime nach einer Übergangszeit geschlossen wurden und somit die meisten der Vietnamesen ohne Arbeit und ohne Wohnung alleine zurechtkommen mussten, kamen extreme Belastungen durch massiv ausbrechende fremdenfeindliche Übergriffe. Die erste Zeit nach der Wende war unzweifelhaft von massiven Erfahrungen mit Fremdenfeindlichkeit geprägt, die zu einem noch engeren »Zusammenrücken« in der eigenen ethnischen Gruppe führte.

Auch zu DDR-Zeiten hatte es schon Übergriffe gegeben, aber mit der Wende nahmen sie stark zu. Die stark anwachsende aggressive Fremdenfeindlichkeit in den neuen Bundesländern, die insbesondere die Vietnamesen zum Ziel hatte, führte zu einer Solidarisierung innerhalb der Gruppe und gab den Anstoß zur Selbstorganisation. Die Übergriffe waren der Auslöser zur aktiven organisierten Selbstverteidigung, sowohl physisch im Sinne eines Sich zur Wehr setzen gegen die Übergriffe, als auch im Sinne einer organisierten und erstmals öffentlichen Interessenvertretung.

Die Situation des eklatanten Mangels an Arbeitsplätzen, der Unabwägbarkeit der Aufenthaltsregelung und der Vielzahl von Übergriffen während der Wendezeit, führte zu einer massiven Verunsicherung der ehemaligen Vertragsarbeiter. Die offene Situation der Nachwendezeit wird allerdings durchaus ambivalent seitens der ehemaligen Vertragsarbeiter bewertet.

Aus dem relativ gesicherten und dabei stark verregelten Leben innerhalb der DDR Betriebe mussten sie sich von heute auf morgen in einer veränderten Umwelt zurechtfinden und überleben. Auf der anderen Seite bot diese Situation ihnen auch alle Freiheiten viel Geld zu verdienen- der Nachholbedarf an westlichen Waren den neuen Bundesländern war groß. Da bereits zu Zeiten der DDR inoffizielle Handelsarrangements innerhalb der vietnamesischen Gruppe bestanden, gab es durchaus auch ehemalige Vertragsarbeiter, die die Offenheit –  und damit die vielen Möglichkeiten – der Umbruchszeit erfassten und nutzen konnten. Sie griffen auf bereits vorher bestehende Kontakte in den Westen zurück, um dort Waren anzukaufen und auf den schnell entstehenden mobilen Ostmärkten zu verkaufen.

Mit der Konsolidierung der Lage in den neuen Bundesländern, ebenso wie der ersten Bleiberechtsregelung von 1993, gründeten viele Vertragsarbeiter eigene Kleinstgewerbe –  insbesondere im Gastronomie- und Handelsbereich – und begannen, sich in die deutschen Regelungen und legalen Gewerbe einzufädeln. Jedoch kam es erst 1997 zur Bleiberechtsregelung, die wirkliche Perspektiven in Deutschland eröffneten. Nach achtjährigem, rechtmäßigem Aufenthalt konnten die Vietnamesen eine Niederlassungserlaubnis erhalten und sich damit dauerhaft in Deutschland niederzulassen. Erst hiermit war eine tatsächliche Integrationsperspektive möglich.

Ausblick

Bis heute leben die meisten der ehemaligen vietnamesischen Vertragsarbeiter in den neuen Bundesländern. Die wenigsten sind in abhängiger Beschäftigung tätig, sondern nach wie vor in kleinen Gewerbebetrieben oder im Handel. Die Älteren leben in relativ geschlossenen ethnischen Gemeinschaften, sprechen wenig deutsch. Heute haben sich die Rahmenbedingungen konsolidiert, die Grundexistenz ist abgesichert, jedoch ist der Konkurrenzdruck hoch und die Zukunft ungesichert.

Dennoch hat sich einiges verändert. Es gibt sehr erfolgreiche Unternehmer, den wachsenden wirtschaftlichen Beziehungen von und mit Vietnamesen und Vietnam kommt immer mehr Bedeutung zu. Die ethnischen Gemeinschaften haben sich »eingerichtet«, man lebt zwar unter sich, sieht sich aber durchaus als Teil der deutschen Gesellschaft. Man ist selbstbewusster geworden. Nicht zuletzt die schnelle wirtschaftliche Entwicklung in Vietnam hat zu neuen und intensiven Beziehungen zum Herkunftsland geführt. Es gibt mehr und eigenständigere vietnamesische Vereine, aus den einst Betreuten sind eigenständige Akteure geworden, die ihre Interessen vertreten.

Auch eine soziale Ausdifferenzierung ist spürbar. Neben den Kleinstunternehmern haben sich sehr erfolgreiche Unternehmer etabliert, es gibt inzwischen sogar einen eigenen vietnamesischen Unternehmerverbund. Vor allem aber wächst eine gut integrierte zweite Generation heran. Die nach der Wende geborenen Kinder der ehemaligen Vertragsarbeiter sind von klein auf in deutschen Kindertagesstätten groß geworden. Die langen Arbeitszeiten der Eltern führten dazu, dass fast alle Kinder ganztätig in den Kindertagesstätten betreut wurden und so von klein auf mit der deutschen Sprache aufwuchsen und mit deutschen Werten und Normen vertraut wurden. Ebenso haben vietnamesische Eltern meist intensiv auf eine gute Bildung ihrer Kinder geachtet und diese selbst bei schwierigen materiellen Verhältnissen unterstützt.

Die Kinder sollen sich in die deutsche Gesellschaft integrieren, dies ist das Ziel der Eltern, für eine gelingende Integration der Kinder verzichten viele auf eigene Annehmlichkeiten. Eine spätere Karriere der Kinder in der deutschen Gesellschaft wird als großes erstrebenswertes Ziel angesehen. Die Älteren haben ihre Nische in der deutschen Gesellschaft gefunden, die Jüngeren aber haben ihre Zukunft in Deutschland, und die Eltern versuchen, die Integration der Kinder zu stützen und zu fördern, selbst wenn es die eigenen Werte und Normen in Frage stellt.

Prof. Dr. Karin Weiss ist Integrationsbeauftragte in Brandenburg und Mitherausgeberin des Buchs »Erfolg in der Nische? Die Vietnamesen in der DDR und Ostdeutschland«

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