Urbane Künste Ruhr: Was „Truck Tracks Ruhr“ bedeuten kann

By lokalkompass.de

05.12.2016 / www.lokalkompass.de

Mülheim an der Ruhr: Ringlokschuppen | Nächtliches LKW-Roadmovie durch ein gespenstisches Mülheim:

Los geht’s - angeschnallt quer zur Fahrtrichtung mit knapp 50 Passagieren im mobilen „Zuschauerraum“ des umgebauten Urbane-Künste-LKWs. Durch eine große Panorama-Glasscheibe hat man oben von der Ladefläche ungewohnt gute Aussicht auf alles, was seitlich passiert. Wenn, ja wenn - die Scheibe mal durchsichtig ist... !

Das kennen viele nur noch aus ihrer Kindheit auf dem Rücksitz: Wenn sie in der Familien-Kutsche bei langen Fahrten ins Tagträumen kamen beim Betrachten der vorbeiziehenden Landschaft. Hier aber wird der Einstieg ins Träumen noch einfacher, denn die hinterrücks eingespielten musikalischen „Tracks“ (Ton-Spuren) machen süchtig auf den angenehmen Sog ins Fahrtgeschehen, wie einst der hier im Revier entstandene Kraftwerk-Welthit „Fahr`n, fahr`n, fahr`n auf der Autobahn“. Hier aber urban, in der Stadt.

Die Sound-Tracks im Lkw („Truck“) hier wurden von unterschiedlichsten Tonkünstlern eigens komponiert. Darunter herrliche Synthie-Pop-Dauer-Rhythmen zum endlosen Mitschwingen auf zweistündigem Trip. Keine kitschigen Übergänge, auch mal kleine Brüche ins Modernste, metallisches Klackern, Glockenschläge, alles in allem ... sagen wir „angenehm uneindeutig“. Und damit perfektes Klangbett für die Überraschungen dieser Nacht.

Inspirierendes von hinten auf die Ohren, das sowohl mit projizierten Video-Bildern (Scheibe zu), aber auch mit Live-Bildern auf der Fahrt (Scheibe auf !) korrespondiert. Spannend natürlich auch deshalb, weil all das widersprüchlichste Sinneseindrücke ungewohnt miteinander verbindet.

Fahr´n, fahr´n, fahr´n - ganz urban

Zu Fahrtbeginn wird ein Video aufs Rollo innen projiziert, das große Panoramafenster mal verhüllt: wir sehen Bewegt-Bilder von der ersten Fahrt genau der Strecke, die der LKW auch jetzt fährt, aber asynchron. Zu sehen ist auf dem Innenrollo eine Fahrt von neulich in die Dämmerung mit Ampelstops, vorbeiziehenden Häusern, Geschäften, Menschen, Restaurants - aber eben nicht synchron zur realen Fahrt. Denn im November ist es da schon längst ganz dunkel und der Verkehr anders als im Film. Da werden die Sinne plötzlich geschärft, wenn im Bild der Truck mal steht, obwohl unterm Hintern die Fahrt weitergeht. Und umgekehrt.

Die Spannung steigt: Der erste Stop der Wirklichkeit in der Busbahnhofs-Unterführung. Keine zwei Meter entfernt von Menschen, die auf ihren Bus warten. Sie können uns heimliche Beobachter nicht sehen, die wir hinterm äußeren Spiegelglas über die ganze Ladeflächen-Länge sitzen. Das ist für uns hinterm Spiegel ungewohnt - so plötzlich in der Rolle des heimlichen Beobachters. Im Theater sonst - und das ist ja Theater hier - sind die Rollen ja klar: Die Verabredung heißt, dass die auf der Bühne so tun, als wenn sie nicht wüssten, dass wir sie beobachten. Das ist hier im rollenden LKW-Versteck anders, es wird getuschelt und auch mal leise über eine(n) da draußen gelacht: „Ich habe gelacht, aber unter meinem Niveau“.

Gut zwei Stunden geht die Fahrt durchs nächtliche Mülheim - und es wär ein Jammer für alle zukünftigen Teilnehmer mehr Nacht-Stops zu verraten, etwa den am Zoo in Duisburg... Denn es ist, verbunden mit literarischen Texten vom Band, ein irrer Trip in ein geheimnisvolles und doch sehr vertrautes Mülheim. Vertraut und doch geheimnisvoll.

Urbane Künste Ruhr und die Künstlers von „Rimini Protokoll“ (bekannt von den Theater-Tagen) wollen mit Partnern (wie hier dem Ringlokschuppen) mit ihren irren „Truck Tracks Ruhr“ die Städte und das Ruhrgebiet selbst zur Bühne machen. Das ist ihnen gelungen: „Rimini Protokoll“ lädt unterschiedlichste Künstler, Musiker und Autoren ein, ihre Werke (aufeinander abgestimmt oder grade nicht) auf diesem Kultur-LKW-Trip zu vereinen. Ausgewählte Unterwegs-Orte mit Musik und Texten wirkungsvoll zu mischen. Innerhalb des Jahres kamen so insgesamt 49 einzelne „Momente“ in Revier-Städten zustande, sieben LKW-Tour-Premieren, auch in Dortmund oder Recklinghausen - und erstmals auch in Mülheim.


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