Die Welt wird im Theater gerettet

By Hermann Hofer

22.11.2014 / Lübecker Nachrichten

Statt Schauspiel simulierte Wirklichkeit: Das Künstler-Kollektiv Rimini Protokoll veranstaltet seine. „Weltklimakonferenz“ im Hamburger Schauspielhaus.

Hamburg. Zum Schluss schwenkt die r¬unde, mit unzähligen Spots bestückte Scheinwerferbatterie in eine Position, die direkt hinein in den Zuschauerraum des Deutschen Schauspielhauses gerichtet ist. Gleißend helles Licht, in den Augen fast schmerzhaft, und eine Wärme, die spürbar immer heißer wird. Eine symbolisch gemeinte Erhitzung, die, projiziert vom Theater auf die globale Wirklichkeit, unserem (noch) blauen Planeten droht. Um dem lebensfeindlichen Prozess der weltweiten Erderwärmung Einhalt zu gebieten, werden im Auftrag der Vereinten Nationen seit 1995 Welt-Klimakonferenzen abgehalten.

Zwischen Warschau (2013) und Lima (Dezember 2014) meldet sich schnell noch Hamburg zu Wort. Im größten Sprechtheater der Republik inszeniert das aus Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel bestehende Berliner Autoren- und Regieteam Rimini Protokoll eine Weltklimakonferenz, die in ihrer Dramaturgie dem realen Vorbild wohl ziemlich nahekommt. Da, wo sonst die Schauspieler agieren, sprechen und handeln diesmal 18 real existierende Experten in Sachen Klimawandel — Wissenschaftler und Vertreter von politischen und gesellschaftlichen Institutionen mit weithin bekannten Namen und langer Konferenzerfahrung.
Sie geben im großen Saal des Schauspielhauses ihre Statements ab, so sachkundig und lebensecht, als seien sie gerade bei einem der großen Treffen in Kyoto oder Kopenhagen. Die Künstlichkeit des Theaters scheint ersetzt durch die Wirklichkeit. Aber selbst die nahezu perfekt hergestellte dokumentarische Authentizität der Rimini-Protokoll-Produktionen hat ihre Grenzen, und das Spiel bleibt eben doch Spiel. Was in der Realität oft drei Wochen dauert, ist in der simulierten Konferenz im Schauspielhaus zusammengepresst auf drei Stunden.

Die Rollen der Delegierten aus 195 Ländern und der EU dürfen und müssen hier die Theaterbesucher selbst übernehmen, denen statt der Eintrittskarten ein Heftchen am roten Schlüsselband ausgehändigt wird, das erstens einen genauen Ablaufplan enthält und zweitens eine Art Pass darstellt, der die Zuschauer als Mitglieder der Länderdelegationen ausweist. Wer Pech hat, wird so zum Vertreter einer Umweltsünder-Nation wie China oder den USA, wer Glück hat, wird (wie der Rezensent) der Delegiertengruppe eines relativ unverdächtigen Landes wie der südafrikanischen Republik Malawi zugeteilt, die statt der deutschen 806 Megatonnen nur 24 Megatonnen Dioxid emittiert.

Moralisch bedingte Kopfschmerzen kann man als fiktiver Malawi-Delegierter dennoch bekommen. Denn wenn man, einem unerbittlichen Zeitplan folgend, um 20.40 Uhr auf die Hinterbühne zu einem separaten Treffen der Regionalgruppe Südafrika beordert wird, erlebt man einen vom hochseriösen Fachjournalisten Kenneth Gbandi verkörperten Präsidenten der Afrikanischen Union, der hoch oben auf der Hebebühne verkündet, dass Umweltschutz auf der Agenda des Kontinents zweitrangig sei. Auch die anderen abseits vom Plenum im großen Saal an verschiedenen Orten im
Schauspielhaus stattfindenden regionalen Meetings zeigen, wie schwierig es ist, die ganze Weltgemeinschaft auf den gemeinsamen Kampf gegen den Klimawandel einzuschwören. In den Hinterzimmern der Arbeitsgruppen wuchern die nationalen Egoismen, die das große Ziel, die Erderwärmung auf zwei Grad Celsius zu begrenzen, torpedieren.

Ernüchterung ist angesagt im von oben bis unten bespielten Schauspielhaus, wo das Publikum zwischen Kantine, Marmorsaal und Foyer hin und her wandert. Schließlich wird es noch per Shuttle-Bus durchs nächtliche Hamburg zum Congress Centrum kutschiert, um richtiges Konferenz-Feeling zu erleben. Beschworen wird dieses auch im großen Saal, wo hinter dem Podium eine riesige Videowand mit den Flaggen der Teilnehmerstaaten (Bühne: Dominic Huber) postiert ist. Hier wird am Ende Bilanz gezogen. Der Kieler Klimaforscher Mojib Latif glaubt an eine letztlich positive Zukunft. „Aber wir müssen uns auf die wahren Werte besinnen. Ein Geländewagen ist
kein Wert.“


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