Spielen mit dem Nichts

Sehr sichtbar und sehr unsichtbar – das Festival „Theaterformen“ in Hannover und Braunschweig war jedenfalls allemal vorzeigbar.

Von Michael Laages

15.07.2002 / Die Deutsche Bühne

Alle haben mitgespielt: und keiner hat’s gemerkt – wenn Herr und Frau Jedermann da kurz vor Ladenschluss zwischen den letzten Einkäufen durch Hannovers gute Stube pilgerten, hin und her über den Platz im Zentrum, der „Kröpcke“ heißt (nach dem hier jahrzehntelang beheimateten Stadtcafé) – und plötzlich zum Teil einer Aufführung wurden, von der sie nichts wussten. Und die überwiegend auch unsichtbar blieb – ab und zu nur war die Verstörung im Bild des Alltags zu spüren: wenn ein Fußball mitten auf dem Platz liegt oder ein Mädchen voller Wucht gegen einen Zaun rennt und wie betäubt (und unbeachtet!) liegen bleibt, wenn ein Typ mit Friesennerz, Schlapphut und riesigem Abhör-Mikrophon sich von hinten an die Opfer schleicht oder mehrere schwer verzückte Wesen wie niedrig schwebende Schwalben über den Platz segeln, kreuz und quer durch das erstaunte Publikum. Was aber heißt hier noch: Publikum? Durch die Mitspieler. Bald ist da kein Unterschied mehr.

Schon gar nicht für uns, die tatsächlichen Zuschauern, verborgen hinter Bürofenstern im zehnten Stock des Kröpcke-Cente mit guter Sicht auf den Platz und überdies bewaffnet mit Feldstechern – von hier aus ist die Stadt zur Bühne geworden: in der „Sonde Hannover“ – Aktion dieser unerhört einfallsreichen Gruppe, die sich Rimini Protokoll nennt und in Konzept-Strukturen wie der in Hannover (und auch der umstrittenen „Deutschland2“-Aktion beim Theater der Welt, für die Bundestagspräsident Wolfgang Thierse den alten Bonner Bundestag auf keinen Fall zur Verfügung stellen mochte) den Grenzbereich zwischen vorgespielter und erlebter Authentizität zu erkunden versucht: also zwischen Theater und Nicht-Theater-Theater. Denn – das zeigt die hannoversche „Sonde“ über die Attacke auf den Überwachungsstaat hinaus – ob wir in aller Alltäglichkeit womöglich gerade „spielen“ oder nicht, das hängt von uns selber ab wie auch von denen, die uns jeweils zuschauen; und davon, warum sie das tun. Eine Begegnung voll blitzartiger Erkenntnis ist das gewesen – Daniel Wetzel, Helgard Haug und Stefan Kaegi haben den Theaterformen das mit Abstand überzeugendste Ergebnis beschert.


Projekte

Sonde Hannover