Rimini Protokoll: Ein Drama in den Köpfen

Die Theatergruppe Rimini Protokoll ließ Besucher die Daimler-Hauptversammlung als Bühnenstück erleben

Von Sylvia Griffin

10.04.2009 / Hannoversche Allgemeine

Es ist eine Übung im Perspektivwechsel. Die Hauptversammlung der Daimler AG ist ein trockener Wirtschaftstermin, bei dem es um Zahlen, Fakten und künftige Strategien geht. Man kann aber auch, dachte sich die Theatergruppe Rimini Protokoll vom Berliner Theater Hebbel am Ufer, das Ereignis als Schauspiel in fünf Akten sehen. Ein Bühnenstück, das nach einem Plan abläuft und seine eigene Dynamik hat.

Das Drama - wenn es denn eines ist - findet allerdings fast ausschließlich in den Köpfen von etwa 150 Zuschauern unter den 6600 Wertpapier-Besitzern statt, die als Vertreter echter Aktionäre gekommen sind. Die Mehrheit hier kennt den Ablauf seit Jahren aus eigener Erfahrung. Aber die eingeschleusten Beobachter haben das Drehbuch.

Schon beim Einlass um acht Uhr morgens wird das Schauspiel allerdings von der Realität überholt. Die IG-Metall-Jugend fordert 100 Prozent Übernahme von Lehrlingen zu 80 Prozent des Lohnes. Das ist kein Spiel mehr.

Aber sonst geht alles nach Plan, wie es Rimini Protokoll vorausschauend protokolliert hat. Die Aktionäre holen sich Unterlagen, belagern das Frühstücksbuffet. Dann geht es wie nach einer Checkliste: Begrüßung durch den Aufsichtsratsvorsitzenden Manfred Bischoff, Totengedenken, Bitte um Verständnis für Sicherheitskontrollen, Appell für ein pflegliches Miteinander. "Lassen Sie uns offen diskutieren, hart in der Sache, aber fair im Stil." Wort für Wort steht das im Ablaufplan der Theatergruppe, inklusive den Einschüben für Applaus. Aber: "Dies ist kein Theaterstück", sagt Bischoff streng.

Wirklich nicht? Ein Störer peppt das Ritual mit Zwischenrufen auf. Er gehört nicht zur Inszenierung. "Solche gibt es immer", sagt Hans-Martin Buhlmann von der Vereinigung institutioneller Privatanleger. Brigitte Biehl-Missal, die als Theaterwissenschaftlerin ihre Doktorarbeit über Hauptversammlungen geschrieben hat, interessiert die Reaktion. "Raus, raus", rufen viele, als die Zwischenrufe nicht aufhören. "Rausschmeißen!" Der Aktionär wird zum Reaktionär.

Auch Vorstandschef Dieter Zetsche, grell im Scheinwerferlicht auf einer futuristischen Bühne, ist nicht nur souverän im Umgang mit dem Störer. Aber entfernt wird der nicht - die Hauptversammlung könnte später rechtlich angefochten werden.

Den Ertragsrückgang, die geplanten Entlassungen, die mageren Perspektiven nimmt das Publikum relativ ungerührt hin. Anwesend sind vor allem Kleinaktionäre, die ohnehin nicht viel ausrichten können. Ihnen ist es wichtiger, ihre "Naturaldividende" abzuholen: Zwei Wiener mit Kartoffelsalat. Und einen Nachschlag. Je länger die Veranstaltung dauert, desto mehr mischen sich Schauspiel und Realität, gibt es die Spannbreite von Drama bis Farce. Je nach Perspektive.


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