Die Geister des Krieges

Von Peter Michalzik

25.05.2009 / Frankfurter Rundschau

Die Wahrnehmung der Theatergruppe Rimini Protokoll ist geprägt durch Begriffe wie Neue Formen der Theatralität, Anti-Illusionismus, Realität und Fiktion. Gern macht man sich auch darüber Gedanken, dass hier sogenannte "Experten" und nicht Schauspieler auf der Bühne stehen. Die Leute spielen also sich, das Verhältnis von Rolle und Selbst wird neu definiert, man sieht und hört echte Menschen, die sich selbst spielen, was manchem dann wie Magie erscheint.
Interessant ist Rimini Protokoll aber weniger durch solche Theorie, als durch das, was sie zeigen: Wirklichkeit. Dieses Theater lebt durch die Geschichten, die seine Experten zu erzählen haben. Je besser die Geschichte, desto größer die Kraft dieses Theaters. Nun haben sich Helgard Haug und Daniel Wetzel das Thema Krieg vorgenommen, das von Anfang an im Zentrum ihrer Theaterarbeit steht: Spätestens seit dem ersten Golfkrieg mit seinen Kamerabomben theatralisiert sich ja tatsächlich das weltpolitische und kriegsstrategische Geschehen.
Man kann Riminis untheatralische Theaterarbeit sehr gut als Gegenbewegung zu solcher Theatralisierung verstehen. Die Gruppe entkleidet und entmystifiziert Geister, die die Menschheit selbst gerufen hat. Die auf den ersten Blick etwas merkwürdige Kombination von Krieg und Magie, von Ernstfall und Zauberei, die Rimini Protokoll für die neue Arbeit in Düsseldorf mit dem Titel "Der Zauberlehrling" gewählt hat, drängt sich da fast auf: Entzaubern wir die bösen Geister des Krieges!
Auf der Bühne, die im Zentrum aus einer mit Glühbirnen gerahmten kleinen Bühne mit rotem Samtvorhang besteht, sind zwei Zauberer.
Links der Zauberkönig von Berlin, ein alter Mann aus einer Zeit, als Illusionismus wirklich noch Sache von Magiern war, muss man sofort denken. Günter Klepke macht Geräusche, erzählt seine Geschichte und zaubert mit dem indischen Seil. Rechts der Zauberer Markus Kompa. Er lässt Tische schweben, kann Gedanken lesen und ist Anwalt von Uri Geller, der nicht nur Löffel verbiegt, sondern auch behauptet, seine Energie zu nutzen, um den 3. Weltkrieg abzuwenden. "Wie wir sehen, hat er es geschafft", sagt Kompa.
Kompa ist so etwas wie der intellektuelle Knoten der Aufführung: Er beschäftigt sich schon lange mit der Beziehung von Krieg und Zauberei, mit Robert Houdin, der im 19. Jahrhundert einen Krieg weggezaubert hat, mit dem Großzauberer und Nazi Hanussen, der täglich Tausende verführte und den Reichstagsbrand voraussagte und deswegen für die Nazis nicht mehr tragbar war. Und mit Stanislaw Petrow.
Da ist der Mann, dem wir wirklich alle verdanken, dass wir noch leben dürfen. Stanislaw Petrow, Oberstleutnant und am 23. September 1983 diensthabender Offizier im Serpuchowo-Bunker. Hier war die Zentrale des Frühwarnsystems der UdSSR, hier zeigte der Computer an diesem Tag, dass aus den USA Nuklear-Raketen auf die UdSSR abgeschossen wurden und hier entschied ein Oberstleutnant trotz allem - aller vorher genau festgelegten Abläufe, aller Verunsicherung, aller Angst, aller Furchtbarkeit des Moments und aller Ewigkeit des Augenblicks - nicht die Kette anzustoßen, die zum nuklearen Gegenschlag geführt hätte.
Er war der erste Mensch jener Kette, sagt er, niemand, das wurde ihm klar, niemand würde seine Entscheidung überprüfen, er wollte nicht der sein, der den Dritten Weltkrieg auslöst. Er sagt es in einem wunderbar leisen und zurückhaltenden Russisch, er ist hier, weil er einmal seine Geschichte so erzählen möchte, wie sie sich wirklich zugetragen hat und nicht so, wie sie medialer Sensationshunger am spektakulärsten findet. So steht da also ein grauer alter Mann, graues Sakko, silbergraues volles Haar, grauer Schnauzer, der so anrührend mehlig und trocken wirkt, und erzählt ruhig und unaufgeregt, mit verhaltenem Witz und Charme von einem einsamen, entscheidenden Moment.
Und da steht die Frau, die aus dem Irak abgezogen wurde, weil in Island eine neue Regierung gewählt worden war. Die neue Regierung erschrak über etwas, das sie zuvor nicht gewusst hatte: Dass das Land Truppen im Irak hatte. Es gibt in Island nämlich kein Militär. Die Truppe bestand nur aus dieser einen Frau. Die isländische Journalistin Herdis Sigurgrimsdottir bildete in Bagdad als Beitrag des Nato-Gründungsmitglieds Island zum Nato-Einsatz im Irak Soldaten im Umgang mit Medien aus. Frau Sigurgrimsdottir ist das blühende Leben und erzählt uns, wie es war, im Irak.
Der Krieg bekommt in diesem "Zauberlehrling" nicht nur etwas Illusionäres, Erfundenes, sondern etwas kindisch Verspieltes. Er verliert seinen Schrecken. Es tut ohne Zweifel gut, ihn einmal so zu sehen, auch wenn es vielleicht eine Illusion ist. Es entstehen, merkwürdig anrührend in diesem einfachen, effektabstinenten Theater, Momente regelrechter Rührung. Dieses Theater lebt eben wirklich von den Menschen, die es machen. Der "Zauberlehrling" wirkt noch sehr unfertig, manchmal hat man das Gefühl, die vier Protagonisten wissen nicht, wie es weitergeht, es gibt nicht nur Momente der Rührung, sondern auch der Desorientierung. Aber eigenartiger Weise macht auch das das Theater an diesem Abend nicht nur realer, sondern gefühlsdurchlässiger.


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Der Zauberlehrling