Auf indischer Schnitzeljagd durch Berlin-Kreuzberg

Callcenter-Mitarbeiter in Kalkutta führen Theatergänger per Handy durch die deutsche Hauptstadt

Von Dirk Krampnitz

03.04.2005 / Welt am Sonntag

Das Handy klingelt. Eine Frauenstimme meldet sich auf deutsch - aber mit indischem Akzent. "Hallo, ich bin Sarah! Darf ich Du sagen?" Sie darf. "Siehst du das schwarze Hochhaus, das ist die Richtung, in die du gehen mußt. Wir haben einige Regeln. Eine ist: Auf den Straßenverkehr mußt du selbst achten. Okay?" Okay! Mit dem Ohrhörer und Freisprecheinrichtung gehe ich in Richtung Postbank-Hochhaus.

"Siehst du die Menschen hinter den Fenstern telefonieren?" fragt die Stimme. Ich sehe sie. Sie kann sie nicht sehen. Die Frau am anderen Ende der Leitung ist 15 000 Kilometer und dreieinhalb Stunden Zeitunterschied von mir entfernt - sie kennt Berlin nur von Bildern und leitet mich doch in einer guten Stunde über Treppen und Trampelpfade in Parks und Keller, die nicht einmal gebürtige Kreuzberger kennen. Sarah ist Callcenter-Agentin und sitzt im "Infinity Tower", Nordostkalkutta, Westbengalen, Indien. Junge Akademiker verkaufen von dort telefonisch Reiseangebote oder Software vor allem ins englischsprachige Ausland. Arbeitskraft und Telefonzeit sind billig in Indien.

Darum leiten viele große Unternehmen ihre Kundenanrufe dorthin um. Der Amerikaner, der wissen will, wann sein Flug in Chicago geht, landet in Kalkutta. Genauso wie der Kunde in England, der Probleme mit seiner Kreditkarte hat. Der Anrufer merkt's nicht. Die Telefon-Agenten sind angehalten, nicht zu verraten, wo sie sitzen. Antrainierte Akzente und falsche westliche Vornamen gaukeln die Illusion der Nähe vor.

Manche Telefonisten liegen ihren falschen Namen auch privat nicht ab - um nicht aus Versehen aus der Rolle zu fallen. Das Callcenter als Inszenierung. Das hat das deutsch-schweizerische Regisseur-Trio "Rimini Protokoll" inspiriert, die Telefondienstleister für die Kunst einzuspannen. Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel haben sich darauf spezialisiert, die Wirklichkeit ins Theater zu tragen und umgekehrt.

Ihr letztes Stück hieß "Sabenation" und handelte vom Konkurs der belgischen Fluglinie Sabena. Auf die Bühne brachten sie keine Schauspieler, sondern ehemalige Sabena-Mitarbeiter, die ihre Geschichten spielten.

Danach machten sie zusammen mit dem Goethe-Institut in Kalkutta Callcenter-Rundgänge durch die indische Metropole. Nun kommt das Projekt nach Berlin. In verschärfter Version: Denn die beiden Telefonpartner befinden sich auf zwei verschiedenen Kontinenten. So schafft "Call Cutta" es, der Globalisierung ein Gesicht oder besser eine Stimme zu geben. Ganz so, als würde Nike in jedes Paar Turnschuhe ein Foto des Nähers legen. Die Regisseure Kaegi, Haug und Wetzel haben den Callcenter-Mitarbeitern ein Skript gegeben, nachdem sie die Berliner Theatergänger durch die Stadt lotsen. "Der Rahmen ist fest, aber es gibt viel Platz für Improvisationen und Ausschmückungen", sagt Regisseurin Helgard Haug.

Doch was ist Anweisung, was eigene Erfindung? Schritt für Schritt führt mich Sarah durch die Sozialbautenlandschaft im Westen des Stadtteils Kreuzberg, die - wie sie erklärt - eng mit den Unabhängigkeitsbestrebungen des kolonialen Indiens verbunden ist.

Der Ton wechselt zwischen Service-Line, Autonavigation, Blind Date und Beichte. Ich laufe durch einen kleinen Park, als mir Sarah ihren richtigen Namen verrät. "Ich heiße Shuktara." Sie sagt, daß ich eine schöne Stimme hätte - ihre habe sich sehr verändert, seit sie im Callcenter arbeitet.

Steht das jetzt im Drehbuch? Shuktara fragt: "Hast du dich schon mal am Telefon verliebt? Hast du am Telefon schon mal gelogen?" Sie zeigt mir übers Telefon die Bäume mit den traurigen Augen, leitet mich vorbei am Zaun, macht Bahnhofsgeräusche, singt, leitet mich den Hang hinab und warnt mich mit einem perfekt imitierten Verkehrschaos vor der Straße. Alles angelernt, alles angelesen? Besonders überraschend ist übrigens der Abschied von der Telefonstimme. Aber das Ende der indischen Schnitzeljagd darf hier nicht verraten, sondern muß erlebt werden.

-Hebbel am Ufer, Hallesches Ufer 32, 2. bis 30. April 2005 (täglich außer Mo und Di), bitte persönlichen Termin unter 25 90 04-27 buchen und Lichtbildausweis als Pfand mitbringen. Keine Online-Reservierung möglich.


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