100% Braunschweig

Von Haug / Kaegi / Wetzel

Braunschweig: Stadt Heinrichs des Löwen, bedeutende Hansestadt im Mittelalter, Oberzentrum der Raumordnungsregion Braunschweig, Stadt der Forschung und Technologie und 2007 Stadt der Wissenschaft, zweitgrößte Stadt Niedersachsens, hatte am 31.12.2010 248.867 Einwohner, das sind 1268 Einwohner pro km2; Durchschnittsalter 43,13 Jahre, 9,9 % Arbeitslose, 46 % sonstige oder keine Religion, 7,5 % Ausländer, mehr Kraftfahrzeuge (140.773) als Wohnungen (140.344), doppelt so viele Einpendler (53.784) wie Auspendler (26.286) und 252.845 auswärtige Gäste, die sich im Schnitt 1,8 Tage in Braunschweig aufhielten. Das Kurzportrait „Braunschweig in Zahlen kurz und knapp“ des Referat Stadtentwicklung und Statistik (zu finden unter www.braunschweig.de) entwirft ein Bild der Stadt, das auf Zahlen, Fakten und umfangreich erhobenen Daten basiert.

Auch „100 Prozent Braunschweig“ basiert auf Zahlen und Fakten. Für ihr Stück übertragen Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel Verfahren statistischer Datenerhebung und wissenschaftlicher Abläufe auf das Theater, den klassischen Ort der Repräsentation. Hundert Braunschweiger, die in den Kategorien Geschlecht, Alter, Staatsangehörigkeit, Familienstand und Wohnbezirk dem statistischen Abbild der Bevölkerung entsprechen, wurden in einer monatelangen Kettenreaktion nacheinander empfohlen und gefunden. Am 26. Januar 2012 startete der Versuch bei einem Mathematiker an der Technischen Universität. Er erklärte sich bereit, stellvertretend für 2500 Einwohner als 1% von Braunschweig an der Aufführung mitzuwirken. Er schlug die Zweite vor, die zweite den Dritten und so weiter. Je länger die Suche dauerte, desto weniger Braunschweiger kamen als Mitspieler in Frage, desto genauer waren die statistischen Vorgaben. Das hundertste Prozent musste ein Mann zwischen 25 und 44 sein, geschieden, deutsch und wohnhaft im Gemeindewahlbereich Nordost.

Braunschweig – das sind eine Viertelmillion Individuen. Einhundert von ihnen stellen wir auf der Bühne und im Programmheft vor. Auf der Bühne präsentieren sie jeweils sich selbst, die Ansammlung, in die sie geraten sind und repräsentieren dabei die Stadt. „100 Prozent Braunschweig“ zeigt einen Darsteller mit 100 Köpfen, der unsere Stadt spielt, einen Chor, der kein Lied geübt hat, ein Umfragegebilde, das sich zu immer neuen Gruppenbildern zusammen stellt, zu flüchtigen Portraits von Zugehörigkeit und Gegensätzen, ein Bevölkerungsparlament auf 100m2 Bühne.
Wer fehlt? Wer denkt, er antwortet anders auf der Bühne als beim Anruf eines Umfrage- Instituts oder in der Wahlkabine? Wer glaubt, die Stadt ist eine andere, weil er da ist? Wer lebt in einem ganz anderen Braunschweig? Und was erfasst die Statistik nicht?

 

100 Prozent Braunschweig ist eine stadtspezifische Weiterentwicklung des Projekts 100 Prozent Berlin. (Haug / Kaegi / Wetzel, Hebbel am Ufer, Berlin 2008)

Konzept: Rimini Protokoll (Helgard Haug, Stefan Kaegi, Daniel Wetzel)
Regie: Daniel Wetzel
Bühnenbild: Marc Jungreithmeier, Mascha Mazur
Lichtdesign: Marc Jungreithmeier
Dramaturgie, Mitarbeit Regie: Sebastian Brünger
Live Musik: Daniel Bierkarre, Tobias Friedhoff, David Heise, Alexander Prinz, Frank Scheier, Christian Spors, Erik Steenbock, Paul Tröger
Projektkoordination und Regieassistenz: Sylvia Franzmann Assistenz Projektkoordination: Annika Ahting, Maximilian Burkhardt


Gefördert durch das NATIONALE PERFORMANCE NETZ im Rahmen der Gastspielförderung Theater aus den Mitteln des BKM sowie der Kultur- und Kunstministerien der Länder