¡SENTATE! (Platz!) Un zoostituto

Ein Placebo-Zoo

Von Stefan Kaegi

Ein Stück über die Sprache zwischen Mensch und Tier in einem Theater mit Hinterausgang direkt in den Zoo von Buenos Aires. 

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Das Teatro Sarmiento in Buenos Aires war bis in die 30er Jahre Futterlager für den Zoo nebenan. Verlässt man die Guckkastenbühne durch den Hinterausgang, steht man vor einem grossen Käfig voll tropischer Affen. 50 Meter von unserer Bühnenrampe lernen domestizierte Schimpansen mit Hilfe von Wild-Life-Videos, wie richtige Affen im richtigen Wald richtig brüllen — hinter einer vierten Wand aus Gitterstäben. Seit der Zoo vor fünf Jahren privatisiert wurde, gehört der Eisbär Langnese, die Giraffe Coca-Cola, und die Schlangen arbeiten für Sony.
¡Sentate! ist eine Antwort auf die Karusells, Erlebnispfade und Geisterbahnen im privatisierten Zoo, eine Antwort auf die benachbarte Landwirtschaftsmesse Rural, in der jedes Jahr die landesweit fetteste Kuh vom Präsidenten zum "sucesso argentino" gekürt wird und eine Antwort auf die Passeadores, die die Cockerspaniels und Bulldoggen der gehobenen Mittelklasse gegen Trinkgeld als Statussymbol spazierenführen.


¡Sentate! heisst Platz! Das Stück ist ein Zoostituto, also eine Art Placebo-Zoo für vier Haustierbesitzer, und ihre Lebenspartner:


- Die ehemalige Bankangestellte Estella Maris lässt ihren Windhund bei sich unter der Decke schlafen seit sie sich von ihrem Mann getrennt hat.
- Maria Cisale hat nach einer Lungenoperation Teile ihres Gedächtnisses verloren, und die schwarzen Löcher nach und nach durch Kaninchen ersetzt. Diese tragen nun Namen aus ihrer Vergangenheit als Französischlehrerin: Jean-Paul Sartre, Brecht, Che Guevara, Cipe Likowsky...
- Der Autoersatzteilhändler Enrique Santiago wollte immer Pilot werden. Eines Tages kaufte er zwei Schildkröten, um eine Frau zu verführen. Seither dokumentiert er das Liebesleben der beiden, die seit neuestem auch als Kamerakinder arbeiten.
- Der Telefonkartenhacker Martín Fernandez hatte nie ein Haustier, sieht aber aus wie eins. Für das Projekt haben wir ihn mit einem Import-Leguan aus Miami zusammengebracht. Während das Reptil über seinen Kopf krabbelt, erklärt ihm Martin die Besiedlungsstruktur argentinischer Vororte...
"King kong" ist kolonialistischer Zirkus. Tierversuche sind einseitig. ¡Sentate! ist ein Verhaltensexperiment. Die Zeichensprache zwischen Haustier und Hausmensch ist die Theatermaschine, die dem Spektakel des Zoos eine individuelle Terminologie der gegenseitigen Mimesis gegenüberstellt.
Wer gleicht wem? Wer spielt für wen? Wer versteht wen?


Von: Stefan Kaegi

Mit: Die ehemaligen Bankangestellte Estella Maris mit ihrem Windhund Garotita, Maria Cisale mit ihren 12 Kaninchen, der Autoersatzteilhändler Enrique Santiago mit seinen Schildkröten Romeo und Julietta, der Telefonkartenhacker Martín Fernandez mit seinem Import-Leguan Lacan II, und ein professioneller Hundespaziergänger.
Dramaturgie: Ariel Dávila, Gerardo Naumann
Bühne: Oscar Carballo
Premiere: Buenos Aires, Teatro Sarmiento, 22. März 2003
 
Als Teil von Biodrama, einem Zyklus von Vivi Tellas in Koproduktion mit Complejo Teatral de Buenos Aires und dem Goethe-Institut Buenos Aires.