Auftakt des Mannheimer Bürgerbühnen-Festivals mit "Qualitätskontrolle" im Nationaltheater

Die Produktion des international gefeierten Regie-Kollektivs Rimini Protokoll sorgte auch in Mannheim für Furore.

Von Von Volker Oesterreich

23.03.2015 / Rhein-Neckar-Zeitung

Nicht nur einmal, sondern x-mal konnte man während dieses intensiven, bewegenden Auftakts des Mannheimer Bürgerbühnen-Festivals "Auftritt Volk" die sprichwörtliche Stecknadel fallen hören. Gebannt und emotional aufgewühlt folgten die Besucher des Nationaltheaters der "Qualitätskontrolle", einer Produktion des international gefeierten Regie-Kollektivs Rimini Protokoll, das mit seinen Arbeiten schon vielerorts für Furore sorgte. Auch in Mannheim oder im Heidelberger Kunstverein. Die Spezialität von Rimini Protokoll besteht darin, Experten des Alltags auf die Bühne zu holen und sie in perfekt ausgeklügelten Inszenierungen von sich selbst, von ihren besonderen Fähigkeiten oder Schicksalswegen berichten zu lassen.
"Star" der "Qualitätskontrolle" ist Maria-Cristina Hallwachs aus Stuttgart. Das Wort "Star" steht hier bewusst in Anführungszeichen, denn die hochintelligente Frau wurde durch einen schlimmen Unfall zu einer Ausnahmeerscheinung. Kurz nach ihrem Abitur sprang sie unbedacht in ein Schwimmbecken - kopfüber in den Nichtschwimmerbereich. Ihren Genickbruch hat sie überlebt, aber seit 22 Jahren ist sie vom Hals abwärts gelähmt. Atmen kann sie nur, weil ein Impulsgeber ihr Zwerchfell bewegt, nachts ist sie auf eine Beatmungsmaschine angewiesen. Ihren Rollstuhl steuert sie durch Bewegungen des Kinns, Buchseiten blättert sie mit einem Stick um, den sie zwischen ihre Lippen klemmt, auf gleiche Weise bedient sie eine Computer-Tastatur.
Sachlich, charmant und gewitzt, aber auch voller Nachdenklichkeit erzählt Maria-Cristina Hallwachs von ihrem Schicksal. Und das Faszinierende dabei ist, wie viel positiven Lebensmut sie ausstrahlt. Das ist selbst in den Momenten so, in denen ihr der Atem-Impulsgeber zu wenig Sauerstoff zuführt, sodass die Stimme etwas dünner klingt. Oder in den Momenten, in denen sie erzählt, wie wenige Stunden oder Tage ihr noch blieben, wenn sie keine Pfleger um sich hätte. Wenn sie kein Wasser mehr gereicht bekäme. Oder wenn die lebenserhaltenden Maschinen ihren Dienst versagten. Ihre Bühne (gestaltet von Marc Jungreithmeier) ist ein angedeutetes Schwimmbassin. Das symbolische Becken wird auch zum Spielfeld für "Schiffe versenken" oder durch Video-Einblendungen zu Maria-Cristina Hallwachs’ Stuttgarter Wohnung. "Das Leben ist doch ganz o. k.", sagt sie ganz nebenbei, aber den Besuchern läuft dabei ein Schauer über den Rücken - ein Gefühl, das die Frau vorne im Rampenlicht so nicht mehr empfinden, sondern nur noch gedanklich nachvollziehen kann. Laut Auswahl-Jury sei diese Inszenierung "eine beispielhafte Arbeit mit Laien - und ein Stück praktizierte Inklusion". Recht hat sie.
Dass die Produktion zum Auftakt des vom Land und der Bundeskultur-Stiftung geförderten Festivals gezeigt wurde, gleicht einem Coup. Weil sich in Mannheim am Wochenende auch der künstlerische Ausschuss des Deutschen Bühnenvereins traf, war die Intendanten- und Politikerdichte im Parkett besonders groß. Die ganz "normalen" Zuschauer erlebten an diesem Abend, welche Kraft in Laiendarstellern steckt, wenn sie über starke Persönlichkeiten verfügen und zudem von Profis gecastet und gecoacht werden.