Der Zuschauer wird zum Akteur

Das Kollektiv Rimini Protokoll vermittelt bei der Ruhrtriennale ein neuartiges und ungewohntes Theatererlebnis.

Von Ulrich Fischer, dpa

29.08.2013 / Schwäbisches Tagblatt Tübingen, Nachrichten

 Bochum Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel sind die preisgekrönte Gruppe Rimini Protokoll. Mit "Situation Rooms", das jetzt bei der Ruhrtriennale gezeigt wird, haben sie ein engagiertes Antikriegsstück geschaffen.


"Situation Room" heißt der Raum im Weißen Haus, in dem US­Präsident Barack Obama und sein Stab am Monitor die Erstürmung des Verstecks von Terrorführer Osama bin Laden verfolgte. In der Turbinenhalle in Bochum hat Rimini Protokoll für ein "Multi­Player­Videostück" ein Labyrinth von Räumen geschaffen, durch die je 20 Zuschauer gelotst und in "Situationen" gebracht werden, die alle mit Krieg zu tun haben.


Jeder "Zuschauer" bekommt einen mobilen Bildschirm und einen Kopfhörer und schlüpft in den einzelnen Räumen für je sieben Minuten in die Rolle eines der ebenfalls 20 Protagonisten. Sie alle haben mit Krieg und Waffen zu tun: Der französische Waffenhändler, der Arzt, die sudanesische Flüchtlingsfamilie, die Friedensaktivistin, der indische Kampfpilot.


Am Anfang steht ein Feldlazarett. Ein deutscher Chirurg berichtet, wie er im vom Bürgerkrieg verheerten Sierra Leone am Fließband operiert. Es suchen weit mehr Verletzte Hilfe, als er operieren kann, er muss auswählen. Diese Auswahl ist grausam, mitunter ein Todesurteil.


Ein junger israelischer Soldat nimmt den Zuschauer mit auf Streife in Gaza. Er versteckt sich auf Wache, um kein Ziel zu geben, und fragt: "Was ist besser? Der Feind erschießt mich oder ich ihn?"

In knapp eineinhalb Stunden durchlaufen die Zuschauer 20 Situationen in meist kleinen und schmutzigen Räumen. Die Collage weist keinen Ausweg, plädiert aber gleichwohl für ein Ende des unmenschlichen Wahnsinns. Die Wirkung ist umso bedrängender, weil jeder Zuschauer von den anderen isoliert wird. Man sitzt allein im "Situation Room" und trifft dort virtuell als Video auf dem iPad den Kriegs­Experten. Die Wirkung ist erschütternd. Man fragt sich, lange bevor die "Aufführung" zu Ende ist, was man selbst tun könnte. Theater kann kaum unmittelbarer wirken.


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